Challenges of Transition in Hungary (2024)
Budapest – 1. bis 8. September
Die Sommerschule 2024 führte den 20. Jahrgang des Elitestudiengangs Osteuropastudien und Promovierende der Münchner Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien vom 1. bis 8. September nach Budapest, um sich mit Herausforderungen der Transformation und mit Übergängen in der Geschichte Ungarns auseinanderzusetzen.
Unter dem Thema "Challenges of Transitions" lag der Schwerpunkt des Programms auf vier Wendepunkten in der Geschichte Ungarns im 20. und 21. Jahrhundert:
- Postimperiale Übergänge nach dem Ersten Weltkrieg,
- der Zweite Weltkrieg, Holocaust und Sowjetisierung,
- der Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 und
- der Orbánismus und die Herausforderungen durch Péter Magyar
Zu Beginn der Sommerschule erhielt die Gruppe von Máté Halmos eine Führung durch die Central European University. Unsere Partneruniversität im Rahmen der Sommerschule entstand ab 1989 aus der Idee heraus, dass eine internationale Universität den Übergang von Diktatur zur Demokratie in Ostmitteleuropa erleichtern sollte. Ab 2017 wurde die Universität vom Orbán-Regime aus Budapest gezwungen und zog nach Wien. In Budapest verblieben nur Forschungseinrichtungen und zivilgesellschaftliche Initiativen. Die modernen Räumlichkeiten dieser „evicted university“ bildeten eine Woche lang die Kulisse für Debatten über die Zeitgeschichte Ungarns, über Quellen sowie historische Umbrüche, über Politik und über den Einfluss Orbáns auf die aktuelle Erinnerungskultur im Land.
Den Auftakt hierzu bildete die Sitzung zum Ende des Ersten Weltkrieges und dem Vertrag von Trianon, in dessen Folge Ungarn über zwei Drittel seines historischen Staatsgebiets verlor. Am Nachmittag des ersten Tages – nach einer langen Diskussion über die heutige Politisierung, Instrumentalisierung und Bedeutung des Vertrags durch das Orbán-Regime – brachte Máté Rigó der Gruppe bei einer Führung durch Buda und das Stadtviertel Rózsadomb die Stadtgeschichte näher. Zwischen kaltem Eis und dem aufsteigenden heißen Dampf des Lukács-Thermalbads ließen sich die ersten Eindrücke der lebendigen Stadt perfekt Revue passieren lassen.
Der zweite Tag begann bei 35 Grad mit einer Stadttour durch das „jüdische Budapest“ von Michael L. Miller. Der Vormittag war dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust gewidmet. Der spätere Besuch des Museums „House of Terror“ führte den Studierenden die revanchistische Erinnerungspolitik Orbáns vor Augen: Obwohl Ungarn offiziell bis 1945, auch nach der Besatzung durch die Wehrmacht 1944, mit Nazi-Deutschland verbündet war, stellt das moderne Museum das Land als Opfer von zwei Fremdherrschaften dar, des Nationalsozialismus und des Sozialismus. Beide Erfahrungen werden einander gleichgestellt. Dabei widmet die Ausstellung dem Holocaust lediglich zwei Räume und verschweigt die antisemitische Politik des eigenen Horthy-Regimes.
Nach schwerer historischer und politischer Kost brachte der Zug die Studierenden zum Ausgleich pünktlich nach Zebegény. Ein kleines Dorf, nahe der Grenze zur Slowakei, indem sich malerisch die Donau zwischen den Bergen durchschlängelt. Nach einem langen Tag kühlte sich die Gruppe im warmen Licht des Sonnenuntergangs in der kühl strömenden Donau ab.
Als Einführung in die ungarische Umbruchszeit ab 1989 hielt András Bozóki, Mitbegründer von Orbáns Fidesz-Partei und Teilnehmer des Runden Tischs, einen Vortrag über das Jahr 1989 als regionales und globales Ereignis. Dieser wissenschaftliche Input wurde durch eine Vorführung des Films „Bolse Vita“ (1996) ergänzt. Er thematisiert die schwierige Zeit und den Umbruch in Budapest 1989. Im Anschluss beantwortete die Regisseurin Ibolya Fekete alle Fragen der Studierenden und reflektierte über die damaligen Unsicherheiten und Widersprüche der postkommunistischen Gesellschaft.
Eine Sitzung mit Stefano Bottoni zur aktuellen Politik Orbáns und zu den durch Péter Magyar initiierten Herausforderungen rundete die diachrone Vorgehensweise der Woche in Budapest ab.
Schließlich reflektierte die Gruppe in der gemeinsamen Abschlusssitzung in kurzen Vorträgen über die Woche. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern die diskutierten Wendepunkte heute noch in der Stadt sichtbar sind. So steht beispielsweise das 2020 eingeweihte Trianon-Denkmal direkt gegenüber dem monumentalen Parlamentsgebäude symbolisch für die Vorstellung eines „Großungarn“. Die tausenden Tourist:innen, die täglich an dem Denkmal vorbeispazieren, befassen sich verständlicherweise wohl kaum mit dem revanchistischen Gedanken hinter dem Denkmal, in dem Orbán seine irredentistischen Geschichtsdeutung zum Ausdruck bringt und die ungarische Nation als Opfer darstellt, ohne die multiethnische Realität des früheren Königreichs anzuerkennen. Hiervon zeugt auch das Trianon-Denkmal in Zebegény und teilweise das Skanzen Open Air Museum in Szentendre, das die Studierenden im Laufe des Sommerschul-Programms besuchten.
Geleitet wurde die Sommerschule von Máté Rigó, Felix Jeschke und Jared Warren.